Im Gegensatz zur Flaschenreifung, unter der man eher nur alle positiven Veränderungen während der Entwicklung eines Weines bis zum Höhepunkt zusammenfasst, sind unter Alterung auch alle negativen Veränderungen bis zum „Lebensende“ zu verstehen. Schon in der Antike wurde versucht, alterungsbeständige Weine zu produzieren, um durch längere Lagerung eine Geschmacksverbesserung zu erreichen. Auch das künstliche Altern durch Erwärmen oder Räuchern war gebräuchlich, wovon der griechische Arzt Galen (129-216) berichtet. In der Bibel wird erwähnt, dass altem gegenüber jungem Wein der Vorzug zu geben sei, im Lukas-Evangelium 5.37 sagt Jesus: Und niemand, der alten Wein getrunken hat, mag neuen. Die Griechen und Römer erkannten, dass Weine mit hohem Zuckergehalt bei kühler Lagerung lange lagerfähig sind. Die besten antiken Weine, wie der berühmte, römische Falerner, wurden in dicht verschlossenen Amphoren aus Ton aufbewahrt und erreichten erst nach vielen Jahren ihren Höhepunkt. Mit Niedergang des Römischen Reiches geriet die Kunst der Konservierung wieder in Vergessenheit.
Bis in das späte Mittelalter wurde in Europa zumeist sehr einfacher Wein produziert, der innerhalb weniger Monate genossen werden musste, da er sonst sauer bzw. zu Essig wurde oder verdarb. Es gab nur ganz wenige Ausnahmen, zum Beispiel die in großen Fässern lagernden Rieslingweine in den Kellern der Herrschaftshäuser und die gespriteten Süßweine im Mittelmeerraum. Die Produktion von alterungsfähigen Weinen wurde ab dem 16. Jahrhundert vor allem in England durch den Bedarf an Bordeaux und Portwein initiiert. Zu dieser Zeit wurde auch der Ausbau in Barrique gebräuchlich. Aber erst mit dem Aufkommen von Flaschen und Korken im 17. Jahrhundert wurde es möglich, in größeren Mengen lange lager- und ausbaufähige Weine zu produzieren. Zu den (mit Einschränkung gerade noch) genießbaren ältesten Weinen zählten ein zu diesem Zeitpunkt 421 Jahre alter Würzburger Stein und ein 186 Jahre alter 1811er. Dies sind jedoch einzigartige Ausnahmen.
Gegenüber vielen anderen Getränken hat Wein die potentielle Eigenschaft, im Laufe der Zeit geschmacklich und qualitativ zu reifen, bis er schließlich seinen Höhepunkt erreicht. Schon vorher kann durchaus eine Trinkreife erreicht worden sein, beide Begriffe sind ja keinesfallst „stichtagsbezogen“ zu verstehen und können auch gleichbedeutend verstanden werden. Der komplexe Lebenszyklus beginnt schon...
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Egon Mark
Diplom-Sommelier, Weinakademiker und Weinberater, Volders (Österreich)